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Kepler, Johannes

Johannes Kepler

„M. Ioannes Keplerus, Einer Ersamen Landtschafft des Hertzogthumbs Steyr Mathematicus“; „Röm: Kay: May: Mathematicus“; „Röm: Kays: Mt. vnnd Dero getrewer Löb: Landschafft daselbsten [Linz] Mathematicus“ (Selbstbezeichnungen auf den Titelblättern, zit. 1597, 1604 (jeweils zweiter Teil), 1618 (Kalendarium))
* 27.12.1571 Weil der Stadt, † 15.11.1630 Regensburg
Kalender seit 1595, verfaßt bis 1624 (mit Unterbrechungen)
Übernommene Reihe: → Stadius, Georg

Johannes Kepler ist einer der bedeutendsten Astronomen. Über dessen Biographie (vgl. Caspar, 1958/95) und Werk (vgl. KGW) sind zahlreiche Bücher und Aufsätze erschienen. Dementsprechend ist er auch der am besten erforschte Kalendermacher der Frühen Neuzeit. In diesem Artikel wird neben der Skizzierung der äußeren Lebensumstände erstmals zusammenfassend gezeigt, mit welchen anderen Kalendermachern Kepler in Verbindung stand. Eine Auswertung dieser Verflechtungen mit Blick auf das Kalenderwesen der Frühen Neuzeit steht noch aus.
Kepler wurde am 27. Dezember 1571 in Weil der Stadt in Württemberg, ca. 15 km westlich von Stuttgart gelegen, geboren. Der Vater Heinrich Kepler (1547–1590) war ein Sohn des Bürgermeisters Sebald Kepler (1519–1596) und dessen Frau Katharina (1522–nach 1591), eine geborene Müller aus dem nahen Marbach. Die Mutter Katharina Kepler (1547–13.4.1622) war eine Tochter des Wirts und Bürgermeisters Melchior Guldenmann im benachbarten Eltingen (zu den Quellen für das Wissen über Keplers Vorfahren und Familie siehe Caspar, 1958/95, S. 30). Beide Eltern zogen einige Zeit ohne ihre beiden Kinder Johannes und dem jüngeren Heinrich (1573–1615) in die Ferne (der Vater ging 1574 als Soldat in die Niederlande, die Mutter folgte später), sodaß Kepler in diesen Jahren bei den Großeltern aufwuchs. Als die Eltern 1576 zurückkehrten, zogen sie in das unweit gelegene Leonberg. Hier erwarb der Vater ein Haus und Kepler besuchte erst die deutsche Schule und dann drei Jahre lang die Lateinschule. Nach bestandener Aufnahmeprüfung kam er vom 16. Oktober 1584 bis zum 6. Oktober 1586 auf die Klosterschule im ca. 25 km westlich von Stuttgart gelegenen Adelberg. Am 26. November 1586 trat er in die höhere Klosterschule Maulbronn ein. Maulbronn liegt ca. 30 km nordwestlich von Stuttgart. Ein knappes Jahr später, am 5. Oktober 1587, wurde der noch 15jährige Kepler an der Universität in Tübingen immatrikuliert (Hermelink, 1906, S. 655 „Joannes Keppler Leomontanus (5. Okt. [1687])“).
Seine mathematische Begabung führte dazu, daß er bereits mit 16 Jahren am 25. September 1588 zum Baccalaureus und am 11. August 1591 zum Magister der freien Künste promoviert wurde (ebd.). Dazwischen hatte er ein weiteres Jahr in Maulbronn gelernt und am 3. September 1589 ein Studium der lutherischen Theologie begonnen (ebd.), für das er ab dem zweiten Jahr ein herzogliches Stipendium von 20 Gulden jährlich erhielt (Caspar, 1958/95, S. 44). In Tübingen waren seine wichtigsten Lehrer der Mathematiker und Astronom Michael Mästlin (1559–1631) und der Theologe Matthias Hafenreffer (1569–1619). Obwohl Kepler eigentlich Theologe werden wollte („Theologus esse volebam“, Kepler an Mästlin vom 3.10.1595, KGW, Bd. XIII, S. 40), wurde ihm auch bewußt, daß er mit seinen Ansichten – er verteidigte in Disputationen die Lehre des Copernicus – auf Widerspruch bei den Theologen stoßen würde. So suchte er nach einem anderen Weg und nahm im Frühjahr 1594 das Angebot an, in Graz Lehrer für Mathematik an der evangelischen Stiftsschule und gleichzeitig Landschaftsmathematiker zu werden. Nachdem er am 11. April 1594 in Graz angekommen war, trat er mit seinem am 24. Mai 1594 gehaltenen ersten Lehrvortrag als Professor an der oberen Klasse die Nachfolge des 1593 verstorbenen Georg Stadius an. Als Landschaftsmathematiker hatte er auch die Aufgabe, die jährlichen Kalender zu verfassen.
In Graz heiratete Kepler am 27. April 1597 Barbara Müller (1573–3.7.1611), eine bereits zweimal verwitwete Tochter des Mühlenbesitzers Jobst Müller (gest. 1601) vom Gut Mühleck bei Gössendorf, das südlich von Graz liegt (vgl. Caspar, 1958/95, S. 78f.). Sie hatte bereits eine Tochter (Regina, gest. 4.10.1617 mit 27 Jahren) aus erster Ehe mit dem Tischler Wolf Lorenz. Aus Keplers Ehe mit Barbara gingen fünf Kinder hervor: Heinrich (2.2.–4.4.1598), Susanna (geb. ?.6.1599, gest. 35 Tage nach der Geburt), Susanna (9.7.1602–nach 1670), Friedrich (3.12.1604–19.2.1611) und Ludwig (21.12.1607–1663).
Kepler lehrte Mathematik in Graz, schrieb die Kalender auf den steirischen Horizont, führte astronomische Beobachtungen aus und verfaßte mit dem „Mysterium Cosmographicum“ (1596) sein erstes größeres Buch. Der beruflich sicher scheinende Weg an der Grazer Stiftsschule wurde durch die Gegenreformation beendet. Ende September 1598 erging der erzherzogliche Befehl, daß die lutherischen Stiftsprädikanten, Rektoren und Schuldiener die Stadt zu verlassen haben. Das betraf auch Kepler und er verließ Graz, durfte jedoch kurz darauf (Ende Oktober) zurückkehren und wurde schließlich am 2. August 1600 endgültig ausgewiesen, weil er sich weigerte, den katholischen Glauben anzunehmen, und am 12. August aus dem Dienst der Landschaft entlassen. Am 30. September 1600 verließ er Graz. Kepler, der bereits Anfang 1600 ein erstes Mal nach Prag gereist und dort mit Tycho Brahe und → Nicolaus Raymarus Ursus zusammengetroffen war, zog jetzt mit seiner Familie nach Prag, wo er am 19. Oktober 1600 eintraf und eine Anstellung bei Tycho Brahe erhielt. Damit befand sich Kepler im damals politischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Zentrum Mitteleuropas.
Kaiser Rudolph II. gab 1601 an Brahe und Kepler den Auftrag, neue astronomische Tafeln zu erstellen. Damit sollte die Bewegung der Planeten genauer vorausberechnet werden können. Nachdem Brahe am 24. Oktober 1601 überraschend gestorben war, wurde Kepler der „Verwalter des wissenschaftlichen Erbes von Brahe“ (Bialas, 2004, S. 31). Auf der Grundlage von Brahes Beobachtungsjournalen schuf Kepler eine neue Astronomie („Astronomia Nova“, 1609) mit den nach ihm benannten Bewegungsgesetzen der Planeten (das erste, den Ellipsensatz, fand er um Ostern 1605, das zweite, den Flächensatz, im Jahr 1602, das dritte fand er am 15.5.1618; Caspar, 1958/95, S. 159, 316) und schließlich die Rudolphinischen Tafeln (Kepler, 1627). Mit einer jährlichen Besoldung von 500 Gulden (ab Oktober 1601) und dem 1601 erhaltenen Titel eines „Kaiserlichen Mathematikers“ (als Nachfolger des verstorbenen Raymarus Ursus) war Kepler auf dem Höhepunkt seiner beruflichen und wissenschaftlichen Entwicklung. Hier gelang es ihm, am 17. Oktober 1604 als erster Gelehrter die Supernova im Sternbild Schlangenträger (SN 1604A) zu erblicken (Kepler, 1604; bereits am 11. Oktober hatte sie ein Hofbeamter gesehen, siehe Caspar, 1958/95, S. 176). Mit zahlreichen gelehrten Männern unterhielt er einen Briefwechsel. An den italienischen Astronomen Galileo Galilei schickte Kepler 1611 die Schrift „Narratio de observatis a se quatuor Iovis satellitibus“, in der er seine Beobachtungen der Jupitermonde beschrieb (vgl. Keplers „Dissertatio Cum Nvncio Sidereo“ von 1610). Die Beobachtungen stellte er mit einem von Erzbischof und Kurfürst Ernst von Köln geliehenen Fernrohr an (Riekher, 1990, S. 30; zu Keplers mathematischen Instrumenten siehe auch Zinner, 1956/79, S. 404f.). In der Folgezeit schuf er eine optische Theorie des astronomischen Fernrohrs und veröffentlichte sie 1611 in der „Dioptrice“ (vgl. Riekher, 1990, S. 30–35).
Unter Keplers Briefpartnern waren auch die Kalendermacher → Peter Crueger, → Konrad Dasypodius, → Gregor Eichler, → David Fabricius, → Valentin Hancke d. Ä., → Martin Horky, → Johannes Krabbe, → Simon Marius, → Albin Moller, → Johann Caspar Odontius, → David Origanus, der schon erwähnte Nicolaus Raymarus Ursus, → Wilhelm Rechperger, → Johannes Remus Quietanus, → Georg Rollenhagen, → Adrianus Romanus, → Melchior Schaerer, → Bartholomaeus Scultetus, → Joachim Tancke, → Benjamin Ursinus. Ursinus und Odontius arbeiteten zeitweise als Gehilfe bei Kepler. Scultetus wurde von Kepler 1607 in Görlitz besucht. Weitere Kalendermacher nahm Kepler mit ihren Kalendern war, z. B. → Georg Caesius (KGW, Bd. XI/2, S. 104), ohne daß sich hieraus ein Briefwechsel ergab.
Trotz des hohen wissenschaftlichen Ansehens hatte es Kepler als Protestant in dem mehrheitlich von Katholiken bewohnten Prag nicht leicht. Bereits 1608 erkundigte er sich deshalb in Tübingen, ob er in seine Heimat zurückkehren könne. Aber erst 1611 eröffnete sich ihm eine Möglichkeit, als ihm der neue Kaiser Matthias erlaubte, mit den protestantischen Landständen in Linz, der damaligen Hauptstadt Oberösterreichs, über einen Wechsel nach Linz als Landschaftsmathematiker und Lehrer an der Landschaftsschule zu verhandeln. Als vom neuen Kaiser bestätigter „Kaiserlicher Mathematiker“ mit einer Jahresbesoldung von nun nur noch 300 Gulden plus 60 Gulden Wohn- und Holzgeld (Caspar, 1958/95, S. 244) übersiedelte er Mitte Mai 1612 nach Linz. Hier gewährten ihm die Landstände jährlich 400 Gulden (ebd., S. 246). Dieses Gehalt besserte er durch seine Kalenderarbeit ab 1616 um jährlich 50 bis 150 Gulden auf.
Noch in Prag war am 3. August 1611 Keplers Frau Barbara gestorben. Als Witwer mit zwei Kindern (Susanna und Ludwig) sah er sich nach einer neuen Frau um. Seine Wahl fiel auf Susanna Reuttinger (1589–30.8.1636), die Tochter eines Schreiners aus Eferding bei Linz. Sie war in Eferding als Vollwaise bei der Baronin Elisabeth von Starhemberg aufgewachsen. Die Hochzeit fand am 30. Oktober 1613 in Eferding statt. Mit Susanna hatte Kepler noch einmal sieben Kinder: Margaretha Regina (7.1.1615–8.9.1617), Katharina (31.7.1617–9.2.1618), Sebald (28.1.1619–15.6.1623), Cordula (geboren in Regensburg am 22.1.1621–29.6.1654 Wien), Fridmar (24.1.1623–19.2.1633), Hildebert (6.4.1625–18.10.1635) und Anna Maria (18.4.1630 Sagan).
Als Kaiserlicher Mathematiker mußte Kepler zahlreiche Reisen unternehmen. So erhielt er die Weisung, sich im April 1613 in Regensburg einzufinden, wo auf dem Reichstag über die Beendigung des Kalenderstreits beraten werden sollte und Kepler als Gutachter gefragt war. Schon 1597 hatte er sich in einem Brief an Mästlin über diese Problematik geäußert und dafür plädiert, den Gregorianischen Kalender auch bei den Evangelischen einzuführen, was bei den Protestanten auf Unverständnis stieß (Steinmetz, 2011, S. 363). In dem „Gespräch von der Reformation des alten Calenders“ von 1604, das er später mehrfach überarbeitete, schlug er jedoch die Einführung eines verbesserten Julianischen Kalenders vor (ebd., S. 364). Diesen Vorschlag modifizierte Kepler 1613 leicht (ebd., S. 365) und verschickte einen „Fürschlag, wie der Ungleichhaitt der Festtägen abzuhelffen“ sei an die Reichsstände (ebd., S. 366; vgl. Koller, 2014, S. 265–273).
Neben solchen dienstlichen Angelegenheiten mußte Kepler sich in den Jahren 1617 bis 1621 auch um seine Mutter in Leonberg kümmern, die der Hexerei angeklagt worden war. Kepler verteidigte seine Mutter selbst und erreichte, daß sie freigesprochen wurde. Und selbst die Auszahlung der ihm zustehenden kaiserlichen Gelder für die Erstellung neuer astronomischer Tafeln, zu der die Stadtkassen einiger Reichsstädte angewiesen worden waren, erforderten Reisen. Auf diese Art gelang es Kepler im September 1625, von den damals noch ausstehenden 6000 Gulden wenigstens 2000 Gulden von den Städten Kempten und Memmingen zu erhalten (Hoppe, 1982, S. 75; vgl. Caspar, 1958/95, S. 372–376).
Auch in Linz war es Kepler nicht vergönnt, sorgenfrei zu leben. Die Situation verschärfte sich für den Protestanten, als im Oktober 1625 ein Religionspatent gegen die Nichtkatholiken erlassen wurde, wodurch z. B. die protestantische Schule, an der Kepler bis dahin unterrichtete und sein Sohn Ludwig lernte, geschlossen wurde. Nachdem im Frühjahr 1626 der Bauernaufstand gegen diese Zwangsmaßnahmen auch Linz erreicht hatte und in der Folge bei den kriegerischen Handlungen mit den kaiserlichen Truppen mehrere Häuser niedergebrannt waren, verließ Kepler am 20. November 1626 die Stadt. Mit im Gepäck hatte er das Manuskript für die Rudolphinischen Tafeln. Nachdem Kepler seine Familie in Regensburg untergebracht hatte, wandte er sich allein nach Ulm, um den Druck der Tafeln zu überwachen. Im September 1627 konnte er das Werk auf der Frankfurter Herbstmesse vorlegen.
Im Dezember 1627 reiste Kepler nach Prag, um dem neuen Kaiser Ferdinand II. ein Exemplar der diesem gewidmeten Rudolphinischen Tafeln eigenhändig zu überreichen. Bei dieser Gelegenheit erreichte Kepler, daß der Kaiser seinen Feldherrn Herzog Friedland Albrecht von Wallenstein ersuchte, dieser solle die noch ausstehenden 11817 Gulden (Gehalt und Gnadengelder) übernehmen und an Kepler auszahlen (Caspar, 1958/95, S. 412; vgl. Hoppe, 1982, S. 80). Wallenstein hatte Kepler eingeladen, nach Sagan (poln. Zagán) zu ziehen, wo sich der Herzog gerade eine Residenz bauen ließ, und in seine Dienste (für jährlich 1000 Gulden) zu treten. Kepler willigte ein und übersiedelte mit seiner Familie im Juli 1628 nach Sagan. Noch einmal begann er am 8. Oktober 1630 eine Reise. Ziel war Linz, wo er Vermögensverhältnisse regeln wollte. Er nahm den Weg über Leipzig, Nürnberg und Regensburg, wo er die Gelegenheit des Kurfürstentages nutzte, um seine Gehaltsansprüche durchzusetzen. Er blieb ohne Erfolg und die am 27. April 1633 von der Kaiserlichen Buchhaltung festgesetzten 12694 Goldgulden (mit Zinsen) wurden nie ausgezahlt (Caspar, 1958/95, S. 436; vgl. Bialas, 2004, S. 46). Wenige Tage nach seiner Ankunft in Regensburg starb Kepler am 15. November 1630.
Als Astronom hinterließ Kepler ein physikalisch-astronomisches Werk (vgl. die Kurzcharakteristik bei Schüller, 2004), das erst Ende des 17. Jahrhunderts durch Isaac Newtons Gravitationstheorie eine fundamentale Weiterentwicklung fand. „Wenn wir Keplers Werk, das sich thematisch um die Frage nach der Forma mundi (Weltform), dem großen Ordnungs- und Gestaltungsprinzip der Welt, bewegt, als eine Einheit begreifen, so ist dieser zentrale und integrierende Forschungsschwerpunkt bisher nur wenig gewürdigt worden. Seine Grundidee eines nach ästhetischen Prinzipien strukturierten Kosmos, in dem das von Natur aus Gegebene als Entäußerung des absoluten, göttlichen Geistes urbildlich realisiert ist, wurde entweder als Mystizismus abgetan oder überhaupt negiert. Insgesamt ließ die vorherrschende rationalistische und mechanistische Denkrichtung innerhalb der Naturphilosophie des 17. Jahrhunderts wenig Raum für die Rezeption der spekulativen Ansätze Keplers“ (Bialas, 2004, S. 160).
Kepler verfaßte die Schreibkalender „teils als Pflichtarbeiten, teils aus Geldmangel“ (KGW, Bd. XI/2, S. 441). Die anfangs in Graz gedruckten Kalender hatten eine Jahresauflage von vermutlich ungefähr 1000 Exemplaren, von denen „nicht mehr als 400 bis 600 verteilt wurden“ (ebd., S. 448; die Quelle für diese Aussage ist Keplers Brief an Mästlin vom 8.12.1598, KGW, Bd. XIII, S. 251 „Ultra 400 vel 600 exemplaria non distrahuntur“). Als „Verehrung“ bzw. „Gnadengeld“ erhielt Kepler für die Kalender jeweils 20 (Kalender für 1595 bis 1598), 24 (1599) bzw. 30 Gulden (1600) von den Adressaten der Dedikationen (ebd., S. 448). Für seine in Linz geschriebenen Kalender erhielt er von den Verordneten der Landstände jeweils 50 bis 150 Gulden (ebd., S. 451). Dieses Geld half ihm über finanzielle Engpässe hinweg. Für die Jahre 1601, 1607 bis 1616, 1621 und 1622 verfaßte Kepler keine Kalender (ebd., S. 450, 452). Als er nach rund einem Jahrzehnt 1616 die Kalenderarbeit wieder aufnahm, rechnete er erstmals „aus den Tabulis Rudolffj“ und fügte dem Prognostikum für 1617 eine lange Vorrede über die Rudolphinischen Tafeln hinzu (ebd., S. 452; der Jahrgang 1617 ist nicht überliefert).
Inhaltlich nutzte Kepler die Kalender mit ihren zweiten Teilen, den Prognostiken, um seine Auffassungen über die Astrologie darzulegen. Dieser stand er kritisch gegenüber, lehnte sie aber nicht strikt ab (vgl. Keplers Schrift „Tertius Interveniens“ von 1610, KGW, Bd. IV, S. 145–258) und sah vielmehr die Notwendigkeit für ihre Reform. Er entwickelte eine eigene Aspektenlehre. „Natürliche Aussagen, wie die eines Arztes über den Verlauf einer Krankheit, verdienen den Vorzug, weil sie von natürlichen Ursachen ausgehen“. Kepler war „davon überzeugt, daß das Erdreich himmlische Wirkungen in sich aufnehmen kann. Die Planeten wirken auf die Erde mittels des Lichtes der Sonne ein, und zwar über die von ihnen gebildeten Aspekte (1597). Mit dem Menschen besitzt auch die Erde eine alles bewirkende Seele, die von den Aspekten der Gestirne angeregt wird“ (KGW, Bd. XI/2, S. 454). „Die Aspekte stellen wiederum die stimulierende Instanz für das Wettergeschehen dar […]. Die Natur der irdischen Dinge empfindet zwar die Aspekte der Planeten und wird von ihnen gleichsam zu ihrem Werk angetrieben, aber das Wetter, wie es entsprechend den vier Aristotelischen Qualitäten – den beiden aktiven Wärme und Kälte sowie den beiden passiven Qualitäten Feuchtigkeit und Trockenheit – sich ausbildet, hängt doch in erster Linie mit der Wirkung der Sonne und den (geophysikalischen) Verhältnissen auf der Erde zusammen“ (ebd., S. 456). Kepler schätzte deshalb die auf Naturbeobachtung ruhenden Erfahrungen der Bauern und interessierte sich selbst für Wetteraufzeichnungen, um seine Aspektenlehre überprüfen zu können (vgl. Klemm, 1976, S. 32–37). Von ihm vorgenommene Wetteraufzeichnungen sind für 1604, 1617 und 1621 bis 1629 überliefert (ebd., S. 34), die er in seinen Kalendern und Ephemeriden abdruckte. So fügte er in seinen Kalendern die Witterung des abgelaufenen Jahres mit ein, z. B. brachte er im Kalender für 1605 ein „verzeichnus/ wie das Gewitter dieses verschienen 1604. Jahres sich von tag zu tag alhie zu Prag angelassen/ vnd mit dem Himmel verglichen“ (Titelblatt des Prognostikums; vgl. Herbst, 2016a). Mitunter wünschte er sich ein gleiches Vorgehen von anderen Kalendermachern (siehe Quellenzitat).
Für die Geschichte der beobachtenden Astronomie ist von Bedeutung, daß auch Kepler seine Kalender dazu nutzte, um die Leser auf die noch ungenügende Genauigkeit der verschiedenen astronomischen Tafelwerke aufmerksam zu machen (siehe vor Kepler die Kalender von → Victorinus Schönfeldt, ferner die Kalender von Johannes Krabbe; vgl. Herbst, 2009a). Zum Beispiel berechnete er eine Finsternis, gab die Daten an und verwies dann im Text darauf, daß die Beobachtung der Finsternis zeigen werde, inwieweit die Rechnung zutrifft. Zu solchen Beobachtungen ermunterte er die Leser und wünschte dann, einen Bericht zu erhalten (z. B. im Kalender für 1618, zweiter Teil, S. B3b = KGW, Bd. XI/2, S. 169; vgl. Kremer, 2009, S. 89). Im Laufe des 17. Jahrhunderts kamen die Astronomen rasch zu der Einsicht, daß Keplers Rudolphinische Tafeln die sicherste Grundlage für astronomische Rechnungen liefern. Der erste Kalendermacher nach Kepler, der diese für die Kalenderrechnungen nutzte, war Johannes Remus Quietanus (Herbst, 2010d). Die auf diesen Tafeln beruhenden und von Kepler berechneten Ephemeriden für 1617 bis 1636 (Kepler, 1617, 1630a und 1630b) setzte → Lorenz Eichstädt mit den drei Teilen seines Ephemeridenwerkes für 1636 bis 1665 fort (Eichstädt, 1634, 1639, 1644a). Es folgten Johannes Hecker mit den Ephemeriden für 1666 bis 1680 (Hecker, 1662) und → Gottfried Kirch mit den Ephemeriden für 1681 bis 1692 (Kirch, 1681–1692). Maria Cunitia, die Frau von → Elias Crätschmair, veröffentlichte 1650 eine deutsch-lateinische Variante der Rudolphinischen Tafeln (Cunitia, 1650). 2014 erschien die erste vollständige deutsche Übersetzung (Reichert, 2014).
Kepler wird in mehreren Briefen der Korrespondenz von Johann Valentin Andreae in Stuttgart erwähnt (vgl. Salvadori, 2018, Personenregister).

Titel:
(1) 1595–1600: SchreibCalender (gerichtet auf die Steiermark) [in Nachfolge von Georg Stadius].
(2) 1602–1606: SchreibCalender (vermutlich gerichtet auf Prag).
(3) 1617–1620, 1623–1624: SchreibCalender (gerichtet auf Österreich und Linz).
Druck und Verlag:
(1) 1595: Hans Schmidt, Graz, 1596–1597: Georg Widmanstetter, Graz, 1598–1600: Hans Schmidt, Graz.
(2) 1602–1606: Schuman, Prag.
(3) 1617–1623: Johannes Plank, Linz, 1624: Abraham Wagenmann, Nürnberg.
Nachweis:
Herbst, 2008a, S. 113. Matthäus, 1969, Sp. 1355. KGW, Bd. XI/2, S. 459–464. VD16. VD17. CERL.
Online:
(2) 1604 Prognostikum, 1605 Prognostikum [21.02.2017].
Andere Drucke:
Alle gedruckten Schriften einschließlich der überlieferten Schreibkalender mit den Prognostiken von Johannes Kepler liegen in einer modernen Werkausgabe vor (KGW, online [21.02.2017]). Ein Verzeichnis mit Standortnachweisen bietet die Bibliographia Kepleriana, 1998, S. 1–50.
Literatur (Auswahl):
Eine Übersicht zur Literatur über Johannes Kepler geben die 1936, 1968 und 1998 herausgegebenen Bibliographien und die online verfügbare „Bibliographia Kepleriana continuata“ [21.02.2017]. Hier wird nur die Literatur über Kepler genannt, die für diesen Artikel verwendet wurde.
Volker Bialas, Hellmuth Grössing: Kalender und Prognostica. In: KGW, Bd. XI/2, S. 442–465.
Max Caspar: Johannes Kepler. Herausgegeben von der Kepler-Gesellschaft, Weil der Stadt. Vierte Auflage. Nachdruck der Dritten Auflage [1958]. Ergänzt um ein vollständiges Quellenverzeichnis. Stuttgart 1995.
Richard L. Kremer: Kepler and the Graz Calender Makers: Computational Foundations for Astrological Prognostication. In: Richard L. Kremer und Jarosław Włodarczyk (Hrsg.): Johannes Kepler. From Tübingen to Żagań. Warschau 2009, S. 77–100.
Johannes Hoppe: Johannes Kepler. 5. Aufl. Leipzig 1982 (= Biographien hervorragender Naturwissenschaftler und Mediziner, Bd. 17).
Volker Bialas: Johannes Kepler. München 2004.
Volkmar Schüller: Art. „Johannes Kepler“. In: Lexikon Naturwissenschaftler, 2004, Bd. 2, S. 304–309.
Quellenzitat:
„Weil aber etliche ein so grosses mitleiden mit mir gehabt/ das ich im Augusto so weit gefehlt habe solle: Will ich dahero vrsach schöpffen in dieser Vorred einen newen brauch einzuführen/ den ich villeicht in künfftigen Jahren/ so mirs vergünnet/ continuirn/ vnd etwa auch andere Practicanten demselben nachzuvolgen vermögen möchte: nämlichen will ich außführlich erzehlen/ wie das wetter im abgelauffenen Jahr sich allhie zu Prag von tag zu tag erzeiget/ vnd bestes verstandes andeüten/ auß was himlischen oder jrdischen vrsachen ein jede verenderung des wetters ervolgt sein möchte: verhoffend ein solliche vbung/ sonderlich wan andere Practicanten neben mir dieselbige an die hand nemen/ vnd ohne falsch oder beschönung jres vorhergegangenen Prognostici ein jeder an seinem ort das wetter vleissig auffschreiben/ vnd also/ wie er es gefunden/ publicirn werden/ solle entlich in gemein zu trefflichem nützen gedeyen. Auff diese weise zwar pflegt Georgius Caesius seine Prognostica zu spickhen/ vnd bey mir grossen danckh zuverdienen/ der würde aber noch grösser sein/ wan er gantzer Jahr witterungen continuirlich in druckh gebe. Dan das er anzeigt/ wie es vor 30. vor 19. vnd vor 12. Jahren auff ebenmässige aspecte gewittert/ ist mir nit genug/ in betrachtung/ das offtermahl andere mehr aspecte/ zumahl oder in der nähe einfallen/ auch die vermeintlich auff benente täge fürwordene aspecte auß der verbesserten rechnung weit auff andere tage gereichen/ entlich auch/ das hiermit diejenigen witterungen/ welliche ohne einige bekandtliche vrsachen entstehen/ allerdings vergessen würdt.“ (Johannes Kepler: Schreib Calender für 1605, zweiter Teil, S. A2b = KGW, Bd. XI/2, S. 103f.).

Erstellt: 22.02.2017
Letzte Aktualisierung: 01.02.2019

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