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Sturm, Johann Christoph

Johann Christoph Sturm

„M. Joh. Christoph. Sturmius, bey der Löblichen Universität Altdorff Mathem. & Phys. P. P.“ (Selbstbezeichnung auf dem Titelblatt, zit. 1676)
* 3.11.1635 Hilpoltstein bei Nürnberg, † 26.12.1703 Altdorf bei Nürnberg
Kalender seit 1669, verfaßt bis 1704
Pseud.: → Alethophilus von Uranien

Johann Christoph Sturm zählt zu den führenden deutschen Gelehrten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Zahlreiche Aufsätze und lexikalische Beiträge beschäftigen sich mit seiner Biographie und seinen Werken (vgl. z. B. Gaab/Leich/Löffladt, 2004 und Herrmann, 2013). Auch als Kalendermacher ist er bereits sehr gut erforscht (vgl. Matthäus, 2004 und Herbst, 2013b).
Sturm wurde am 3. November 1635 in Hilpoltstein bei Nürnberg geboren (wenn nicht anders angegeben, folgen die biographischen Angaben Gaab, 2004). Sein Vater Johann Eucharius Sturm war am Hofe des Hilpoltsteiner Fürsten und Pfalzgrafen Johann Friedrich als Hofschneider, Kämmerer und Kustode des Tafelsilbers tätig. Die Mutter hieß Gertraud und war eine Tochter des Pfarrers Konrad Bock in Liebenstadt, einem kleinen Dorf bei Hilpoltstein. Johann Christoph war das erste Kind von Johann Eucharius und Gertraud. Er erhielt die erste Schulbildung durch privaten Unterricht von Johann Jakob Beurer (1587–1663), der seit 1627 Hofprediger in Hilpoltstein war. Aufgrund der Wirren des Dreißgjährigen Krieges mußten die lutherischen Christen 1645 das wieder katholisch gewordene Hilpoltstein verlassen. Die Sturms flüchteten nach Weißenburg. Dort wurde Johann Christoph am 11. Mai 1646 in das Schülerverzeichnis der Lateinschule aufgenommen. Da der Vater eine Anstellung am Oettinger Hof erhalten und Weißenburg verlassen, den Sohn aber an der Lateinschule zurückgelassen hatte, wohnte Sturm nun bei Johannes Hupfer (1580–1656), dem Direktor der Schule. Mit fast 18 Jahren zog Sturm 1653 nach Nürnberg, wo er bei Daniel Wülfer (1617–1685), Prediger bei St. Lorenz sowie Kirchen- und Konsistorialrat am Oettinger Hof, wohnte und diesem als Schreibkraft diente. Wülfer war zuvor Lehrer für Logik, Metaphysik und Physik am Egidiengymnasium und lehrte dort nicht nur die Physik nach Aristoteles, sondern auch nach René Descartes (1596–1650). Möglicherweise wurde Sturm bereits durch Wülfer mit der neuen Physik von Descartes bekannt (vgl. Gaab, 2004, S. 23), von der er später als Eklektiker jene Hypothesen auswählte, mit denen er die bei den physikalischen Experimenten vorgefundenen Fakten am besten erklären konnte (vgl. Wiesenfeldt, 2002, S. 159f.).
Obwohl sich Sturm am 4. Oktober 1653 in die Matrikel der Altdorfer Universität eingeschrieben hatte (Steinmeyer, 1912, Bd. 1, S. 294 „[1653.] X. 4. Johannes Christophorus Sturmius, Hilpoltstein.“), begann er dort noch kein Studium, sondern erst zweieinhalb Jahre später in Jena. Am 28. Februar 1656 schrieb er sich in die Matrikel der Universität ein (Jauernig/Steiger, 1977, S. 800 „Sturmius, Joh. Chphs., Hilpoltsteina Neo-Palatinus, 28. Febr. 1656“). Fortan studierte er Mathematik, Physik und Theologie. Sein wichtigster Jenaer Lehrer wurde der zehn Jahre ältere Erhard Weigel (1625–1699), mit dem ihn auch nach dem Studium die Bestrebungen um die Zurückdrängung der Astrologie aus den Schriften und Köpfen der Menschen verband. In dieser Hinsicht fand er in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Gleichgesinnte in den Kalendermachern → Albert Linemann, → Christian Grüneberg, → Christoph Richter und → Gottfried Kirch, ab 1700 auch in → Georg Albrecht Hamberger und → Ulrich Junius (vgl. Herbst, 2010a, bes. S. 185f., 217f., 273f.).
In Jena wurde Sturm am 27. Januar 1658 zum Magister der Philosophie promoviert. Anschließend stand er selbst einigen theologischen und mathematisch-physikalischen Disputationen vor. Seine Studien setzte Sturm an der Universität in Leiden fort, wo er sich am 11. Oktober 1660 in die Matrikel einschrieb (Du Rieu, 1875, S. 484 „[1660] Oct. 11. Johannes Christophorus Sturmius Norimbergensis Hilpoltsteinensis. 24, T. et Mat.“). In Leiden wurde Johann de Raey (1622–1702) sein wichtigster Lehrer, der seit 1653 den Lehrstuhl für Physik innehatte und die Philosophie von Descartes lehrte. Im Sommer 1661 kehrte Sturm über Hamburg, Magdeburg und Leipzig nach Jena zurück und setzte dort sein Studium fort. Ende 1662 ging er nach Nürnberg, wo er auf eine akademische Anstellung am Egidiengymnasium hoffte. Da sich diese Erwartung nicht erfüllte, ging er zu seiner Familie nach Oettingen und suchte beim Pfalzgrafen Albrecht Ernst I. um eine Anstellung als Pfarrer nach. Im Juni 1664 wurde Sturm auf das Pfarramt in Deiningen und Klosterzimmern unweit von Nördlingen berufen, das er Ende des Jahres antrat.
Sturm wohnte seit Ende 1664 in Deiningen. Hier heiratete er am 8. November 1664 Barbara Johanna Keßler (5.11.1642–6.5.1679), Tochter des Kanzleisekretärs Ludwig Erhard Keßler und dessen Frau Anna Rosina. Aus dieser Ehe gingen sieben Kinder hervor: Johann Jakob (?–?), Johannes Conrad (starb kurz nach der Geburt am 12.4.1668), Leonhard Christoph (5.11.1669–6.6.1719), Johann Christoph (?–?), Maria Barbara (starb kurz nach der Geburt am 7.5.1672), Moritz Eucharius (28.5.1676–?), Georg Reichard (?–?). Am 15. August 1669 wurde Sturm Nachfolger des verstorbenen Mathematik- und Physikprofessors → Abdias Trew an der Universität in Altdorf, wohin er mit seiner Familie umzog. Nachdem seine Frau 1679 gestorben war, heiratete er am 5. Oktober 1580 in Nördlingen Maria Salome Höchstetter (31.3.1653–8.5.1691). Mit ihr hatte Sturm fünf Töchter: Sibylla Euphrosyna (?–?), Anna Jacobina (?–?.4.1722), Maria Catharina (?–?), Susanna Margaretha (21.6.1688–4.9.1688), Anna Catharina (28.4.1691–9.2.1692). Kurz nach der Geburt der fünften Tochter starb Sturms Frau am 13. Mai 1691. Ein Jahr später heiratete Sturm am 18. Mai 1692 erneut, und zwar Dorothea Elisabetha (ca. 1646–?), Witwe des Kammersekretärs Johann Göring. Etwa 1696 kam die Tochter Maria Christina (ca. 1696–?) zur Welt. Nach einem am 26. Oktober 1703 erlittenen Schlaganfall starb Sturm am 26. Dezember 1703 (Gaab, 2004, S. 55; die lateinische Leichenpredigt in deutscher Übersetzung in Herrmann/Platz, 2003, S. 11–26).
Johann Christoph Sturms Leistungen werden in verschiedenen Gebieten hervorgehoben. In der Philosophie gilt er als ein Frühaufklärer, der die eklektische Methode anwandte und lehrte. Für die Geschichte der Universität war er der erste Hochschullehrer, der regelmäßig physikalische Experimente („Collegium Experimentale“) in den Lehrbetrieb aufnahm. In diesem Zusammenhang erfand er auch neue Meßinstrumente. Seine Mathematiklehrbücher zeichnen ihn als hervorragenden Didaktiker aus. Auf dem astronomischen Gebiet vertrat er entschieden das copernicanische Weltbild. In dem auch für das Alltagsleben der Menschen wichtigen Bereich des Kalenderwesens setzte sich Sturm um 1700 für die von Erhard Weigel angestoßene Vereinigung von Gregorianischem und Julianischem Kalender ein, was zwar nicht endgültig gelang aber schließlich zur Einführung des Verbesserten Kalenders auf Seiten der Protestanten und damit zur Überwindung der doppelten Tageszählung führte. Und die von ihm verfaßten Schreibkalender nutzte er, um die Menschen über die naturwissenschaftliche Unhaltbarkeit der astrologischen Regeln aufzuklären. Mit dem „Finsternissen=Calender“ für 1676 ohne jeglichen astrologischen Bezug schuf Sturm das erste astronomische Jahrbuch (Herbst, 2013b), womit er der Entwicklung im astronomischen Fachbuchwesen rund einhundert Jahre voraus war. Aus der umfangreichen Korrespondenz mit zahlreichen Gelehrten in verschiedenen Ländern Europas sind mehrere Briefe überliefert (aufgelistet in Gaab/Leich/Löffladt, 2004, S. 305–311), von denen einige auch gedruckt vorliegen (z. B. die mit Gottfried Kirch gewechselten Briefe, siehe Herbst, 2006) und andere für einen Aufsatz ausgewertet wurden (z. B. die mit Antonio Magliabechi in Florenz gewechselten Briefe, siehe Kleinert, 2013, S. 267–271).

Titel (ohne den des Pseudonyms):
(1) 1676–1677: Recht=Astronomischer/ von allen Aberglaubischen Waarsagereyen und Ungewißheiten gesäuberter und Absonderlich so genannter Finsternissen=Calender.
(2) 1687–1689: Recht Astronomischer von allen Aberglaubischen Waarsagereyen gesäuberter und Absonderlich so genannter Curiositäten=Calender.
(3) 1690–1700: Der kleinen Atlantis= Oder Zweyten Neuen Welt= Kalender.
(4) 1702–1704: Vernunfft= Weisheit= und Tugend=Calender.
Druck und Verlag:
(1) Christoph Gerhard, Nürnberg.
(2) Johann Andreas Endters Erben, Nürnberg.
(3) Johann Andreas Endters Söhne, Nürnberg.
(4) Johann Jonathan Felseckers Erben, Nürnberg.
Nachweis:
Herbst, 2008a, S. 153f. Ergänzung: StB Nürnberg (Ex. für 1688 Reihe 2, für 1693 Reihe 3), StA Weißenburg (Ex. für 1704 Reihe 4), UB Warschau (Ex. für 1693 Reihe 3). Matthäus, 1969, Sp. 1363f. Gaab/Leich/Löffladt, 2004, S. 279–281. VD17. CERL.
Online:
(1) , (3) [06.02.2017].
Andere Drucke:
Ein ausführliches Verzeichnis aller Werke, Klein- und Gelegenheitsschriften liefert Gaab/Leich/Löffladt, 2004, S. 250–305. Eine Auswahl davon ist aufgelistet auf der Internetseite zur Geschichte der Astronomie in Nürnberg, URL.
Literatur (Auswahl):
Volker Herrmann und Kai Thomas Platz (Hrsg.): Der Wahrheit auf der Spur. Johann Christoph Sturm (1635–1703). Mathematiker, Physiker, Astronom. Büchenbach 2003 (= Schriftenreihe des Museums Schwarzes Roß Hilpoltstein, Bd. 3).
Hans Gaab, Pierre Leich, Günter Löffladt (Hrsg.): Johann Christoph Sturm (1635–1703). Frankfurt am Main 2004 (= Acta Historica Astronomiae, Vol. 22).
Hans Gaab: Zur Biographie von Johann Christoph Sturm (1635–1703). In: Gaab/Leich/Löffladt, 2004, S. 12–85.
Klaus Matthäus: Sturm als Kalendermacher. In: Gaab/Leich/Löffladt, 2004, S. 226–249.
Klaus-Dieter Herbst: Der Kalendermacher Johann Christoph Sturm im Kontext der Forschung zur Frühaufklärung in Deutschland. In: Eitelkeiten-Calender (Eitler-Werck-Calender) für das Jahr 1669 verfaßt von Alethophilus von Uranien [Johann Christoph Sturm]. Neu herausgegeben von Klaus-Dieter Herbst mit Beiträgen von Klaus-Dieter Herbst und Klaus Matthäus. Reprint Jena 2010 (= Acta Calendariographica – Kalenderreihen, Bd. 2.1), S. 11–18.
Andreas Kleinert: Der Altdorfer Physiker Johann Christoph Sturm (1635–1703) und seine Verbindung zu Italien. In: Berthold Heinecke, Ingrid Kästner (Hrsg.): Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) und die gelehrte Welt Europas um 1700. Aachen 2013 (= Europäische Wissenschaftsbeziehungen, Bd. 6), S. 261–272.
Volker Herrmann: Art. „Sturm (luth.), Johann Christoph“. In: Neue Deutsche Biographie Bd. 25 (2013), S. 652 [06.02.2017].
Klaus-Dieter Herbst: Der Finsternissen-Calender für 1676 von Johann Christoph Sturm als erstes astronomisches Jahrbuch. In: Finsternissen-Calender für das Jahr 1676 verfaßt von Johann Christoph Sturm. Neu herausgegeben von Klaus-Dieter Herbst mit einem Beitrag von Klaus-Dieter Herbst über den Kalender als astronomisches Jahrbuch. Reprint Jena 2013 (= Acta Calendariographica – Kalenderreihen, Bd. 2.2), S. 11–41.
Klaus Matthäus: Die Utopie des Altdorfer Professors. „Der Kleinen Atlantis- oder Zweyten Neuen Welt-Kalender“ von Johann Christoph Sturm. In: Dirk Niefanger, Werner Wilhelm Schnabel (Hrsg.): Positionierungen. Pragmatische Perspektiven auf Literatur und Musik der Frühneuzeit. Göttingen 2017, S. 295–315.

Erstellt: 06.02.2017
Letzte Aktualisierung: 23.04.2019

sturm_johann_christoph.txt · Zuletzt geändert: 2019/04/23 12:31 von klaus-dieter herbst