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Simplicissimus, Simplicius (Pseud.)

„der wolbekante doch aufrichtige Simplicius Simplicissimus“ (Selbstbezeichnung auf dem Titelblatt, zit. 1670)
bis 1672 wahrscheinlich → Grimmelshausen, Johann Jakob Christoffel von
danach → [?]
Kalender seit 1670, erschienen bis 1809

Diese Kalenderreihe, von der der erste Jahrgang 1670 am 24. Oktober 2006 innerhalb der rund 3.700 Jahreskalender umfassenden und sich von 1644 bis 1861 erstreckenden Kalendersammlung im Stadtarchiv Altenburg aufgefunden wurde (vgl. Herbst, 2008c), gehört zu den insgesamt sechs Reihen, die als „simplicianische Jahreskalender“ am Ende des 17. Jahrhunderts in fünf verschiedenen Verlagen in Nürnberg (Felsecker, Hoffmann, Endter), Altenburg (Rüger) und Molsheim (Straubhaar) herauskamen, vgl. → Simplicissimus, Junger ehelich gebohrner (Pseud.), → Simplicissimus, Junger (Pseud.), → Argutissimus, Expertus Rupertus (Pseud.), → Curaschiander (Pseud.), → Necho von Alkair (Pseud.).
Ob bei den ersten Jahrgängen bis 1672 Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen für die simplicianischen Erzählungen verantwortlich zeichnete, wurde im gesamten 20. Jahrhundert kontrovers diskutiert (einen Abriß liefert Heßelmann, 2012, S. 126–130). Auch nach dem Auffinden des ersten Jahrgangs ist diese Frage umstritten. Klaus Matthäus resümierte 2009: „Nach allen aufgeführten Umständen wäre eine über die bloße Zustimmung hinausgehende Mitarbeit Grimmelshausens am EWGC der Jahrgänge 1670 bis 1672 nicht völlig auszuschließen“ (Matthäus, 2009, S. 263f.). Für die nachfolgenden Jahrgänge kam Matthäus 2011 zu dem Schluß: „Von einer weiterhin bestehenden Autorisierung der Simplicianischen Wundergeschichten Calender durch ihn [Grimmelshausen – K.-D. H.] darf wohl ausgegangen werden“ (Matthäus, 2011a, S. 126). Zu ähnlichen Schlüssen kamen 2008 Italo Michele Battafarano und Hildegard Eilert, für die „für die ersten Jahrgänge des Kalenders seine [Grimmelshausens – K.-D.H.] aktive Mitarbeit mehr als wahrscheinlich ist“ und für die Jahrgänge bis 1676 „von einer Autorisation Grimmelshausens auszugehen“ ist (Battafarano/Eilert, 2008, S. 116). Schließlich konstatierte Peter Heßelmann 2012: „Wägt man die in der Forschung genannten Gründe ab, die für und gegen die Autorschaft Grimmelshausens sprechen, so läßt sich die Mitarbeit des simplicianischen Erzählers an verschiedenen Teilen des Europäischen Wundergeschichten Calenders nicht ausschließen“ (Heßelmann, 2012, S. 130f.). Dieter Breuer hingegen sah 2011 in der inhaltlichen und sprachlichen Gestaltung des Kalenders für 1670 „kein Argument für Grimmelshausens Autorschaft, sondern ein Argument für das Wirken eines Redakteurs bzw. des Verlegers selbst“ (Breuer, 2011, S. 164). Er meinte ferner, daß bereits aus rechtlicher Sicht ein Autor wie Grimmelshausen mit der „Übereignung seines Manuskripts an Verleger oder Drucker […] keine Rechte mehr an seinem Werk und der Verleger freie Hand zu dessen Verwertung“ hatte, was der Verleger Felsecker mit der Zweitverwertung der Simplicissimus-Figur in einem Jahreskalender ausgenutzt haben soll (ebd., S. 164). Diese Einschätzung basiert jedoch auf älterer Literatur und entspricht nicht den historischen Gegebenheiten. Neueste Quellenanalysen haben gezeigt, daß bereits um 1670 ein Kalenderverleger das einmal erworbene Manuskript nicht mit „freier Hand“ zweitverwerten konnte. Und auch für das Nutzungsrecht an erdichteten Namen (von Figuren) oder realen Namen (von Autoren) hatten sich zwischen Autor und Verleger Regeln herausgebildet, die im Sinne des Gewohnheitsrechts einzuhalten waren (Herbst, 2012d, S. 333f.; vgl. Eichacker, 2013).
Am Schluß der simplicianischen Erzählung im „Schreib=Kalender“ des jungen ehelich gebohrnen Simplicissimus, deren Verfasser zweifelsfrei Grimmelshausen war, wird der Bogen gespannt zu dem Kalender des alten Simplicissimus (vgl. Quellenzitat bei Simplicissimus, Junger ehelich gebohrner), was auf Grimmelshausens Beobachten der Kalenderlandschaft hindeutet und als Fingerzeig auf seine Autorschaft bzw. Autorisierung des „Europäische[n] Wundergeschichten Calender[s]“ interpretiert werden kann (vgl. Herbst, 2012d, S. 334).

Titel:
(1) 1670–1809: Europäischer Wundergeschichten Calender.
Druck und Verlag:
1670–1747: Felsecker, Nürnberg, 1748–1809: Endter Nürnberg.
Nachweis:
Herbst, 2008a, S. 149. Ergänzung: KB Kopenhagen (Ex. für 1690, 1691). Herbst, 2011a, S. 55. Matthäus, 1969, Sp. 1362. Endter, 1784. VD17.
Online:
Von (1) die Jahrgänge 1670, 1671, 1672, 1674, 1675, 1676, 1678, 1679, 1710 sowie der zweite Teil von 1714 [17.07.2015].
Literatur:
Italo Michele Battafarano, Hildegard Eilert: Probleme der Grimmelshausen-Bibliographie. Mit Beispielen der Rezeption.Trento 2008 (=Labirinti 113).
Klaus Matthäus: Grimmelshausen – ein Autor von Jahreskalendern. In: Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Simplicianische Jahreskalender. Europäischer Wundergeschichten Calender 1670 bis 1672 (Nürnberg), Schreibkalender 1675 (Molsheim). Faksimiledruck der vier Kalenderjahrgänge erstmals neu herausgegeben und kommentiert von Klaus Matthäus und Klaus-Dieter Herbst. Erlangen, Jena 2009, S. 215–277.
Klaus-Dieter Herbst: Die Kalender des Verlages Felsecker – Eine Bestandsaufnahme der Jahrgänge 1661 bis 1675. In: Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Simplicianische Jahreskalender. Europäischer Wundergeschichten Calender 1670 bis 1672 (Nürnberg), Schreibkalender 1675 (Molsheim). Faksimiledruck der vier Kalenderjahrgänge erstmals neu herausgegeben und kommentiert von Klaus Matthäus und Klaus-Dieter Herbst. Erlangen, Jena 2009, S. 279–354.
Klaus Matthäus: Die Europäischen Wundergeschichten Calender des Simplicius Simplicissimus für 1670 bis 1672 und der Schreib-Kalender des jungen ehelich gebohrnen Simplicissimi für 1675. In: Peter Heßelmann (Hrsg.): Grimmelshausen als Kalenderschriftsteller und die zeitgenössische Kalenderliteratur. Bern, Berlin, Brüssel, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien 2011 (= Beihefte zu Simpliciana 5), S. 89–151.
Dieter Breuer: Zur Frage der Autorschaft Grimmelshausens an den simplicianischen Jahreskalendern Felßeckers, Hoffmanns und Straubhaars. In: Peter Heßelmann (Hrsg.): Grimmelshausen als Kalenderschriftsteller und die zeitgenössische Kalenderliteratur. Bern, Berlin, Brüssel, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien 2011 (= Beihefte zu Simpliciana 5), S. 159–184.
Klaus-Dieter Herbst: Kommentiertes Verzeichnis der Schreibkalender für 1701 bis 1750 im Stadtarchiv Altenburg. Jena 2011 (= Acta Calendariographica – Forschungsberichte, Bd. 3), S. 229–240 (Kapitel 8.2 Erzählungen in den simplicianischen Kalendern für 1808 und 1809).
Klaus-Dieter Herbst: Zum rechtlichen Verhältnis zwischen Autor und Verleger im Kalenderwesen um 1670. Mit einem Blick auf Grimmelshausen. In: Peter Heßelmann (Hrsg.): Simpliciana XXXIII (2011). Bern, Berlin, Brüssel, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien 2012, S. 319–339.
Peter Heßelmann: Die simplicianischen Jahreskalender in der Altenburger Kalendersammlung. In: Klaus-Dieter Herbst (Hrsg.): Astronomie – Literatur – Volksaufklärung. Der Schreibkalender der Frühen Neuzeit mit seinen Text- und Bildbeigaben. Bremen und Jena 2012, S. 115–150.
Italo Michele Battafarano, Hildegard Eilert: Planet Grimmelshausen. Beschreibende Bibliographie der Werke 1666–2010. Taranto 2012.

Erstellt: 17.07.2015

simplicissimus_simplicius_pseud.txt · Zuletzt geändert: 2017/03/27 13:59 von klaus-dieter herbst