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Schnellenberg, Tarquinius

„Der Löblichen freihen Keyserlichen Stadt Northusen/ Durch Tarquinium Snellenbergium/ beider Artzeney Doctorem vnnd Phisicum Dar selbst“; „Der löblichen Freyen Keyserlichen stadt Dortmunde. Durch Tarquinium Syprum [sic] alias Schnellenbergium/ Medicum Physicum et Mathematicum/ Daselbst“; „Durch Tarquinium Ocyorum alias Schnellenbergium Medicine Doct. et Mathematicum“ (Selbstbezeichnungen auf den Titelblättern, zit. 1541, 1545, 1548)
* ca. 1490 Attendorn/Westfalen, † 1561 Travemünde
Kalender seit 1509, verfaßt bis mindestens 1551

Tarquinius Schnellenberg (oder Ocyorus, abgeleitet aus dem lateinischen ociter, ocior, schnell, schneller; „die wörtliche latinisierte Übersetzung des falsch aufgefassten Namens ins Griechische“, so Tetzner, 1908, S. 21) wurde im westfälischen Attendorn, etwa 40 km südöstlich von Dortmund, geboren. Schnellenberg gehörte der Familie eines Johannes Schnellenberg „aus der Diözese Tournai“ an, ohne daß die genaue Beziehung rekonstruiert werden kann; in der Nähe von Attendorn gibt es auf einem hohen Felsen ein Schloß namens „Schnellenberg“, das einer adligen Familie Schnellenberg gehörte (Tetzner, 1908, S. 1; vgl. ebd., S. 241 mit dem Hinweis auf die Verbreitung der bürgerlichen Schnellenberge in den Niederlanden). Der Geburtsort wird dem Eintrag in die Matrikel der Universität Köln entnommen. Demnach wurde Schnellenberg am 27. November 1515 in Köln immatrikuliert (Keussen, 1919, Bd. 3 (sic), S. 98, Nachtrag Nr. 1656 „1515 27/11 Torquin. de Attendar.“; F. Tetzner konnte diese Matrikel nicht einsehen). Später schrieb er die Widmung eines Buches an Michael Meienburg (1491–1555), Syndikus und ab 1540/41 mehrmals Bürgermeister in Nordhausen, in Dortmund, „meinem lieben Vaterlande“ (die Widmung von 1546 ist enthalten in „Experimenta“ (anderer Druck, Titel 2), zitiert nach Tetzner, 1910, S. 5). Daß Schnellenberg vor 1500 geboren sein muß, folgt aus dem Umstand, daß man schon für die Jahre 1509 und 1513 „Kalender“ und für 1516 und 1524 „Practica“ von ihm kennt (Tetzner, 1909a, S. 103 ohne Angabe einer Quelle). Mit der Angabe „ca. 1490“ soll angedeutet werden, daß Schnellenberg mindestens ein Jahrzehnt vor 1500 geboren sein muß, wenn man annimt, daß er einen Kalender (den für 1509) frühestens im Alter von etwa 18 Jahren verfaßt haben wird.
Aus den „Experimenten“ (anderer Druck, Titel 2) kann erschlossen werden, daß Schnellenberg sein heilkundliches Wissen während seiner Wanderungen durch Deutschland („als fahrender Arzt“, so Tetzner, 1911, S. 169) erlangte und auf Anschauung und Erfahrung setzte (Tetzner, 1908, S. 5–8). Mitunter gab er auch Jahreszahlen an, z. B. weilte er 1519 als Pestarzt in Sachsen (ebd., S. 8). Danach war er unter anderem „in Magdeburg, in Elbingerode, im Harz, auf der Hainleite“ und in Braunschweig (ebd., S. 243). In den 1530er Jahren wirkte er in Erfurt und ist 1536/37 als ärztlicher Berater des Grafen Heinrich XXXII. von Schwarzburg nachweisbar (Tetzner, 1910, S. 2). In Erfurt war er bekannt mit dem Dichter Cyprian Stapert (Vomelius) aus Friesland (1515–1578), der auch Mathematiker und Rechtsgelehrter sowie 1543 Konrektor der Lateinschule in Dortmund war (Tetzner, 1908, S. 8). Seit 1538 wohnte Schnellenberg in Nordhausen und wirkte mit einer jährlichen Besoldung von 40 Gulden als „Senatsphysikus“ (Tetzner, 1908, S. 12; Tetzner, 1909a, S. 104 mit Verweis auf Friedrich Christian Lessers Historische Nachrichten von Nordhausen, fortgesetzt von Prof. Dr. Förstemann, Nordhausen 1860). Hier war er bekannt mit dem schon genannten Meienburg, mit Johannes Heune (Gigas) und Johann Spangenberg. Von Gigas und Vomelius sind Gedichte im ersten medizinischen Druck (Titel 1) von Schnellenberg enthalten. 1540 wurde er in Köln zum Doktor der Medizin promoviert (Tetzner, 1908, S. 10; Tetzner, 1910, S. 104). Im Herbst 1542 lebte Schnellenberg bereits nicht mehr in Nordhausen, was aus einem überlieferten Brief von ihm an Spangenberg in Nordhausen vom 10. September 1542 folgt (überliefert als „Handschrift der Bamberger Kgl. Bibliothek im Codex J. H. Misc. 1, S. 224“ und abgedruckt in Tetzner, 1910, S. 3; vgl. „Frühneuzeitliche Ärztebriefe“, Datenbank „Schnellenberg“). Etwa 1544 zog er nach Dortmund, wo er bis 1549 ebenfalls als Arzt praktizierte (Tetzner, 1909a, S. 100). 1547 heiratete Schnellenberg Clara Vallingen (Tetzner, 1908, S. 11). 1554 ist er als Physikus in Unna nachweisbar (Schulte, 1936, S. 11; für den am 25. April 2016 gegebenen Hinweis auf diesen Sachverhalt danke ich Herrn D. Ulrich Schlegelmilch, Würzburg). Er starb 1561 in Travemünde (Tetzner, 1909a, S. 106 mit Hinweis auf Anton Fahne: Die Grafschaft und Freie Reichsstadt Dortmund 1854, Bd. 1, S. 187).
Für F. Tetzner war Schnellenberg „ein mutiger Vorkämpfer für Volksaufklärung in gesundheitlicher Hinsicht“ und „ein Bahnbrecher für Erfahrungswissenschaft gegenüber dem gedankenlosen Medizinieren der Kurpfuscher und Avicemisten“ (Tetzner, 1911, S. 169). Eine andere Bedeutung Schnellenbergs sah F. Tetzner „für die niederdeutsche Volks- und Sprachkunde“ und veröffentlichte (in Tetzner, 1908, S. 23–46) deshalb das Wertvollste, „seine wenigen Gedichte mit zugehöriger Prosa und ein kleines Wörterbuch mit etymologischen Aufschlüssen,“ das er aus Schnellenbergs Büchern zog (Tetzner, 1908, S. 22).
Als Arzt war es Schnellenbergs Aufgabe, die jährlichen Almanache zu verfassen. Bekannt sind Kalender ab 1509 (vermutlich Wandkalender) und ein „Diarium“ für 1548 in oktav. Hier liegt der seltene Fall vor, daß für einen Schreibkalender nicht das Quart-Format gewählt wurde, sondern das kleinere Oktav-Format (vgl. die Schreibkalender in oktav von → Philipp Melhofer (für 1543), → Valentin Butzlin (für 1550) und → Jeremias Brotbeihel (für 1552) sowie den Buchkalender (ohne Schreibseiten) in oktav von → Anton Brelochs (für 1545)). Aufgrund der Bedeutung der Kalenderart „Schreibkalender“ werden die in der Literatur als überliefert genannten Exemplare hier gesondert angeführt, ebenso die überlieferten Praktiken. Die Praktik für 1548 in oktav ist dem Schreibkalender für 1548 als zweiter Teil beigegeben worden.

Schreibkalender:
1548: Diarius: Oder Almanach, 8°, Druck Melchior Sachse, Erfurt (BM London, C 54a 6/4. P 23872, nach Hase, 1967, Sp. 942, Nr. 969; Auszüge wiedergegeben in Tetzner, 1908, S. 251f.)
1551: [Diarius: Oder] Almanach, Format ?, Druck ? (Bibliothek Wernigerode, nach Tetzner, 1910, S. 2)

Praktik bzw. Prognostikum:
1545: Practica Deutsch, 4°, Druck Melchior Sachse, Erfurt (UB Königsberg, S 503.4°.10, nach Hase, 1967, Sp. 932, Nr. 950)
1547: Practica Deutsch, 4°, Druck Melchior Sachse, Erfurt (UB Wrocław, Phys. IV. Q in 718, nach Hase, 1967, Sp. 940, Nr. 965)
1548: Practica Deutsch, 8°, Druck Melchior Sachse, Erfurt (BM London, C 54a 6/4. P 23872, nach Hase, 1967, Sp. 942, Nr. 970; komplett wiedergegeben in Tetzner, 1911, S. 173–176, teilweise in Tetzner, 1908, S. 251)
1549: Practica Deutsch, 4°, Druck Melchior Sachse, Erfurt (UB Königsberg, S 507.4°.1, nach Hase, 1967, Sp. 944, Nr. 975)

Titel:
(1) 1509–1513[?]: [Almanach], Format vermutlich 2° (kein Exemplar ermittelt).
(2) 1516[?]–1524[?]: Practica, Format ? (kein Exemplar ermittelt).
(3) 1541–[1542?]: Practica. 1543[?]–1549: Practica Deudsch, Format 4°.
(4) 1548[?]–1551[?]: Diarius: Oder Almanach, Format 8°.
(4a) [?]–1548[?]: Practica Deudsch, Format 8°.
Druck und Verlag:
(1), (2) ?.
(3), (4), (4a) Melchior Sachse, Erfurt.
Nachweis:
Tetzner, 1909, S. 103 (Reihen 1 und 2). Hase, 1967, Sp. 925, Nr. 934 (für 1541), Sp. 928, Nr. 943 (für 1543), Sp. 932, Nr. 950 (für 1545), Sp. 940, Nr. 965 (für 1547), Sp. 942, Nr. 969 (Kalender für 1548), Nr. 970 (Praktik für 1548), Sp. 944, Nr. 975 (für 1549). Zinner, 1941/64, S. 207, Nr. 1883 (für 1545) und passim. VD16. CERL.
Andere Drucke:
Die Drucke sind analysiert in Tetzner, 1908 und Tetzner, 1909.
(1) Ein kurtz Schoen vnd troestlich Regiment wider die alte schwere erschreckliche kranckheit der Pestilentz/ wie man sich daruor bewaren sol/ vnd auch Curatiue jnn den noeten mit Artzeney vnnd Gottes huelff dem menschen das leben zu erhalten von alten erfarn Meisteren vnn Doctoribus colligirt vnd zusamen getragen/ durch Tarquinium Snellenbergium/ der freihen kuenste vnn artzney Doctorem bewerte Remedia/ der keuserlichen Stadt Northausen zu ehren vnd gefallen geschrieben. Erfurt 1540. ThULB Jena, 8 Med. XXI,180/1 (8). SBPK Berlin, 2 an:@JI 8060.
(2) Experimenta. Von XX Pestilenz Wurzeln vnd Kreutern/ Wie sie alle vnd einjeglichs besonder/ Fuer Gifft vnd Pestilentz gebraucht moegen werden […]. Frankfurt am Main 1546. Erstausgabe nicht überliefert (vgl. VD16). Erste überlieferte Ausgabe von 1553. Zahlreiche weitere Ausgaben bis 1700, teilweise online verfügbar. Die Vorrede mit „Datum Tremonie/ Pridie Idus Aprilis/ Anno 1546“ wurde späteren Ausgaben belassen.
(3) Kurtzer bericht/ Von etlichen edelen vnd Bewerten Balsam Ole/ Wund trencken/ Pflaster/ vnnd Vguenten zu machen/ beide zu Frischen vnnd Alten Wunden oder Schäden/ vor nihe an den tag gegeben ist. Nun aber allen Wundartzten zu fromen/ vnd den Nottürfftigen zu trost vnd hülff. Durch Tarquinium Schnellenbergium/ der Artzney Doctorem/ inn Druck gebracht. Frankfurt am Main 1549. BSB München, Res/M. med. 1242 h. Online [01.04.2016]. Und in anderen Bibliotheken.
(4) Wetterbuchlin: Ein newes wetterbüchlein, Obseruiert, gezogen vnd gegründet auß den Regeln vnd lehren der hochberühmpten Astrologen/ Durch degliche erfarung/ warhafftige bekenntniß des wetters/ bewert/ Also das ein jeder er sey gelehrt oder vngelehrt/ durch alle natürliche anweysung die veranderung des wetters eygentlich vnd genzlich wissen/ erkennen vnd vrteylen mag/ jtzt neüw Durch Tarquinium Schnellenbergh/ der freyen kuenste vnd Artney Doctor/ zusamen getragen/ vnd zu Dortmuend an den dag gegeben. Dortmund 1549. HAB Wolfenbüttel, A: 218:1 Quod. (4). SBPK Berlin, Mz 22251, gegenwärtiger Standort RSB Moskau.
Literatur:
F. Tetzner: Tarquinius Schnellenberg. In: Zeitschrift des Vereins für rheinische und westfälische Volkskunde 5 (1908), S. 1–46, 6 (1909), S. 241–258.
F. Tetzner: Tarquinius Schnellenbergs Werke. In: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 17 (1909), S. 91–116.
F. Tetzner: Leben und Schriften von Tarquinius Schnellenberg. In: Altpreußische Monatsschrift 1909, S. 592–606.
F. Tetzner: Zur Lebensgeschichte Schnellenbergs. In: Westfälisches Magazin, Neue Folge 2 (1910) 1, S. 2–5.
F. Tetzner: Tarquinius Schnellenberg und sein Werk „Practica deutsch“. In: Zeitschrift für Bücherfreunde, Neue Folge 3 (1911), S. 169–176.

Erstellt: 06.04.2016

schnellenberg_tarquinius.txt · Zuletzt geändert: 2017/02/21 21:21 von klaus-dieter herbst