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Misocacus, Wilhelm

Wilhelm Misocacus

„D. Wilhelmus Misocacus/ Medicus vnd Astronomus daselbst [in Danzig] residirende“ (Selbstbezeichnung auf dem Titelblatt, zit. 1580, zweiter Teil)
* 1511 Brüssel, † 12.1.1595 Danzig
Kalender seit 1572, verfaßt bis 1595

Wilhelm Misocacus wurde 1511 in Brüssel geboren (Jöcher, 1750/51, Bd. 3, Sp. 555; Siemiginowska, 1976, S. 10). Das Geburtsjahr folgt aus dem Text „Aetatis suae 63“ unter dem Wappen mit der Jahreszahl 1574, das über Misocacus’ rechter Schulter auf den Titelseiten mit Porträt gezeigt wird. Über seinen Bildungsweg konnten keine Einzelheiten ermittelt werden. Spuren seines Wirkens konnten erst ab dem Jahr 1565 aufgefunden werden. So lebte er 1565 und 1566 in Deventer, einer alten Stadt in den Niederlanden (etwa 100 km östlich von Amsterdam), wo er Horoskope für König Erik XIV. von Schweden und für Joannes Sillyers aus Mechelen erstellte (Juste, 2015, S. 153; für den am 15. März 2017 gegebenen Hinweis auf diese Literatur danke ich Dieter Kempkens). Mit Beginn der Verschärfung der Spannungen zwischen der calvinistisch geprägten Bevölkerung in den Niederlanden, die seit 1555 von Kaiser Karl V. an den spanischen König Philipp II. übergeben worden waren, und dem 1567 eingesetzten spanischen Statthalter, dem Herzog von Alba, flüchtete Misocacus aus seiner Heimat und kam so 1568 nach Danzig, wo er sich als „Doktor“ ausgab und als Arzt und Astronom wirkte (Altpreußische Biographie, 1941, Bd. 2, S. 305). Karl Schottenloher vermutet, daß Misocacus die griechische Übersetzung eines bürgerlichen Namens, „etwa Schellhaß“, ist (Schottenloher, 1951, S. 130) und daß er „vielleicht auf dem Wege nach Danzig seinen neuen Namen angenommen hat“ (ebd., S. 131).
Ab 1571 (für 1572) verfaßte Misocacus die Jahreskalender, wofür er jährlich 50 Mark vom Danziger Rat erhielt (Altpreußische Biographie, 1941, Bd. 2, S. 305 mit Verweis auf das Kämmereibuch der Stadt Danzig). Obwohl unter dem Einfluß der calvinischen Religion aufgewachsen, beachtete er die Warnung Johannes Calvins vor ungezügelter Anwendung der Justicial-Astrologie nicht und füllte seine Prognostiken ausgiebig mit derartigen detailreichen Vorhersagen (vgl. Jensen, 2006, S. 31), wobei er den Schwerpunkt „bis 1589 auf politische Vorhersagen“ legte (Kempkens, 2014, S. 9). Einen Höhepunkt in dieser Hinsicht stellten Misocacus’ Vorhersagen anläßlich der großen Konjunktion von 1583 dar (Kalender für 1583, zweiter Teil – dargestellt in Schottenloher, 1951; vgl. Leppin, 1999, S. 141, Anm. 60: hier wird auf die Kontroverse zwischen dem Reformierten Misocacus und dem Katholik → Johann Rasch eingegangen). Mitunter findet man in den Kalendern auch autobiographische Bezüge. So schrieb er „Vnd ich hab zu Brüssel in Braband/ seine [Peter Apians] Bücher (rerum Mathematicarum) gesehen/ vnd mit meinen henden gecontractiert“ (Kalender für 1580, zweiter Teil, S. A3b).
Über die ärztliche Tätigkeit von Misocacus ist nichts bekannt. Aus dem Prognostikum für 1590 kann man aber etwas über dessen medizinischen Ansichten erfahren. So vertrat er er „die iatromathematische Lehre und sagt[e] voraus, dass die einzelnen Planeten Krankheiten bestimmter Körperteile hervorrufen würden“ (Kempkens, 2014, S. 9). Misocacus zitierte dabei aus → Leonhardt Thurneyssers „Archidoxa“ (bei Thurneysser: andere Drucke, Titel 1), übernahm jedoch nicht dessen „am Rand mitgegebene alchimistische Rezeptur zur Herstellung der Arzneimittel gegen diese Krankheiten“ (Kempkens, 2014, S. 9).
Als Astronom veröffentlichte Misocacus 1578 eine Schrift über den Kometen von 1577 (anderer Druck). Bei den Rechnungen für die astronomischen Daten der Kalender gab er den alten astronomischen Tafeln (den Alfonsinischen) den Vorzug vor den neuen Tafeln, die auf der Theorie von Nicolaus Copernicus beruhen. In seinen Kalendern verglich er die Ergebnisse aus beiden Rechnungsarten und stellte die Alfonsinischen Tafeln als die besseren dar (vgl. Kremer, 2012, S. 482).
Misocacus starb am 12. Januar 1595 und wurde in der Danziger Marienkirche begraben (Siemiginowska, 1976, S. 12). Es sind einige Manuskripte von ihm überliefert, z. B. ein Horoskop für Stefan Bator von 1577 (BPAN Gdańsk, Ms 1562/I) und ein anderes Horoskop für seinen Freund Paul (geb. 30.12.1539) vom 6. März 1582 (ebd., Ms 2253; zu weiteren Manuskripten siehe Siemiginowska, 1976, S. 13).
Neben Misocacus gaben Ende des 16. Jahrhunderts ebenfalls → Johann Moller (bis 1597) und → Michael Radtzki (ab 1594) Kalender für Danzig heraus.

Titel:
1572–1595: SchreibCalender.
Druck und Verlag:
1572–1595: Jakob Rhode, Danzig.
Vermutlich unerlaubte Nachdrucke:
1582: Druck ?, Verlag Johann Francke, Magdeburg.
1583: Johann Eichorn, Frankfurt an der Oder.
1587: Druck Wilhelm Roß, Magdeburg, Verlag Johann Francke, Magdeburg.
Nachweis:
Zinner, 1941/64, S. 252, Nr. 2586 (Prognostikum für 1573) und passim. ZKAAD, 1987–1993, Teil 4, S. 319, Nr. 3933 (Prognostikum für 1580) und passim. BPAN Gdańsk, 2–18 in Sa 2, 8° (Prognostiken für 1577–1580, 1582, 1584–1592, 1594, 1595). UB Lublin, St. 321 (Prognostikum für 1583). BP Rom, Mikrofiche E 1065 (Prognostikum für 1584). VD16. CERL.
Online:
1583 Prognostikum, dasselbe mit anderem Titelblatt, 1590 Prognostikum [17.11.2016].
Anderer Druck:
Observationes astronomicae pertinentes ad novam cometam, qui visus est […] 1577 […]. Danzig 1578. BPAN Gdańsk, 1 in Sa 2, 8°.
Literatur:
Karl Schottenloher: Untergang des Hauses Habsburg, von Wilhelm Misocacus aus den Gestirnen für das Jahr 1583 vorhergesagt. Eine verkappte politische Flugschrift. In: Gutenberg-Jahrbuch 1951, S. 127–133.
Anna Siemiginowska: Art. „Misocacus Wilhelm (1511–1595).“ In: Polski słownik biograficzny, Bd. 21 (1976), S. 10–13.
Derek Jensen: The science of the stars in Danzig from Rheticus to Hevelius. Ph. D. dissertation. University of California, San Diego 2006. Zu Wilhelm Misocacus: S. 28–36.
Richard L. Kremer: Mathematical Astronomy and Calendar-Making in Gdańsk from 1540 to 1700. In: Klaus-Dieter Herbst (Hrsg.): Astronomie – Literatur – Volksaufklärung. Der Schreibkalender der Frühen Neuzeit mit seinen Text- und Bildbeigaben. Bremen und Jena 2012, S. 477–492. Zu Wilhelm Misocacus: S. 480–483.

Erstellt: 17.11.2016
Letzte Aktualisierung: 06.06.2018

misocacus_wilhelm.txt · Zuletzt geändert: 2018/06/06 08:55 von klaus-dieter herbst